Sonntag, 19. 10. 2014 

Eine Ausstellung ist ja in der Regel ein statisches Sein. 
Bilder aufgehängt, Licht drauf, Katalog, Eröffnung und gut ist. Da ändert sich ja dann nichts mehr.

 Ein Konzert ist ja in der Regel ein einmaliges Ereignis.
Tür auf, Publikum, Musik, Applaus, Tür zu. Vorbei.

 Bei crossfade hingegen ist jeder Tag anders und neu. Der Raum verändert sich, es kommen neue Bilder hinzu, alte werden anders aufgehängt. Neue rote Schnüre werden gespannt. Klangobjekte tauchen auf und unter. Eine Künstlerin tritt ab, eine Sängerin tritt auf. Und umgekehrt.
Tägliche Veränderung geschieht.
 Es ist kein reines Konzert, es ist keine reine Ausstellung. 
Zumal das Publikum und ich bisher nur die Rückseiten 
der entstandenen Zeichnungen zu sehen bekommen. 
Auch das wird sich irgendwann ändern.
 Gestern war Tag 12.
 Heute ist Bergpause.


 Donnerstag,





30. 10. 2014 


Was zunimmt?
 Die Zärtlichkeit nimmt zu.
 Sie drängt sich zu Beginn von Woche 4 in den Vordergrund und füllt den Raum. 
Das Herz wird größer.
 Die Transparenz nimmt zu. 
Da sind mehr Pausen für Stille, Nach - und Vorauslauschen. Da ist mehr Atemluft in und um die Stimme. Mehr Zeit.
Wie leise kann man, kann ich singen? 
In verschiedenen Lagen, auf verschiedenen Vokalen? 
Wie beeinflusst die Leisigkeit den Toneinsatz?
 Welche Stille erzeugt das im Ton? 
Was ist mit dem Atmen, dem Ende des Tons, dem Vibrato?

 Von Zärtlichkeit umgebene Worte nehmen mehr Raum ein. Stille als Präsenz und als Resonanz.

 Der Tanz der Zeichnenden nimmt zu. 
Ihre Fußtremoli werden von Tag zu Tag mehr, 
ihre Graphit – Arpeggien werden ausladender, 
ihr Tempo beschleunigt sich, heute wird sie 42 Zeichnungen erstellen!! Sie wirbelt und körpert. Da gibt es Staccato – Passagen des Stifts, dichtes lautes Schraffieren, was ich atmend nachlaute.

In der ersten Woche war der Raum in dem sich Publikum und Zeichnende befanden, leer. Von Tag zu Tag kamen Zeichnungen an den roten Leinen hinzu, aber sparsam, leise, zurückhaltend, versteckt. Die Zeichnungen wurden noch nicht verraten, sie hingen mit der weißen Rückseite zum Publikum. Was bei manchen der Besuchenden zu enttäuschten Erwartungen führte. Was bei manchen zur Reflektion über Erwartungen führen konnte. Was bei anderen einfach eine enttäuschte Erwartung auslöste. Eine ungefüllte unzufriedene Leerstelle. 

In der ersten Woche war ich gar nicht sichtbar, war im Nebenraum und war dort so laut, wie es ging. Ich schrie in ein Megaphon, ich hämmerte auf eine Zinkwanne, ich schlug mit Schlägeln auf ein Lärmbündel aus Kehrblechen, Glocken, Schellen, verrosteten Gartengeräten ein. Ich machte keine Pausen, ich blieb und war dicht. Dichter. Dichterin.

In der zweiten Woche tauchte ich dann im eigentlichen Raum ab und zu auf, hatte dort mein Klang- und Donnerblech, einen mit Wasser gefüllten Glaskolben für Klangstäbe. Im Nebenraum hatte ich ein Stativ mit verschiedenen Glocken und meine Zinkwanne, die aber leiser und auch mit den Händen bearbeitet wurde.





Die Zeichnende nahm Farbe hinzu – Textmarker.
Immer noch hingen die zunehmenden Zeichnungen mit ihrer verschwiegenen Rückseite zum Publikum. 
Ist denn nicht das Geheimnis das eigentliche Wesen von Poesie? Das, was NICHT ausgesprochen wird, zwischen den Zeilen steht, zwischen den Tönen schwingt, auf den Rückseiten durchschimmert? 

Löst nicht die Nichterfüllung Sehnsucht in uns aus und ist nicht Sehnsucht der Stoff, aus dem Kreativität, Zärtlichkeit und Poesie entstehen?







In der dritten Woche hielt ich mich nun überwiegend im Hauptraum auf und wurde merklich leiser. Der Eitelkeit geschuldete Einbrüche, bzw. dynamische Spitzen durften durch Pausen wettgemacht werden.... Eine Rolle Papier kam ins Spiel, wurde ausgerollt, zerrissen, zerknüllt, rhythmisch zerfetzt. Ein Eierschneider wurde mit Papierfetzen präpariert, jeden Tag anders, jeden Tag neu.

 Das Blatt hatte sich gewendet, nun hingen die ersten Zeichnungen mit dem Gesicht zum Publikum und langsam schloss sich nach beiden Seiten „meines“ Raums eine täglich umkomponierte Blätterwand, die aber Durchblicke und Lücken ließ. Leinöl nahm die Zeichnende nun neu hinzu, Transparenz und Tranzluzenz kamen ins spielerische Spiel.

 Den ersten Tag der dritten Woche habe ich als besonders innig und verbunden in Erinnerung. Niemand war gekommen, uns zu sehen und zu hören. Wir machten die Performance für uns und waren gerne und konzentriert bei der Sache. Ich hielt mich nun immer öfter auch am Boden auf, hockend, kniend, rutschend. Plötzlich kam eine sensorische Erinnerung an die guten Nachmittage mit meiner Mutter, als ich etwa 4 oder 5 Jahre alt war. Warmes Stehlampenlicht, meine Mutter nähte auf ihrer Singer-Nähmaschine, die ein pulsend – rhythmisch - ratterndes Geräusch von sich gab, je nachdem, wie schnell meine Mutter mit dem Fußpedal das Rad antrieb. Manchmal lief das Radio, bevorzugt Schulfunk.

Ich saß auf dem Teppich zwischen Stoffresten und spielte oder träumte. Die Abdeckung der Nähmaschine war dann mein Reisekoffer oder eine Burg oder eine Einkaufstasche oder...oder...ich SPIELTE.
 In diesen Spielmodus geriet ich am Montag der dritten Woche (Tag 13).







In der vierten Woche werde ich nun von Tag zu Tag leiser, aber trotzdem nicht weniger. Der Raum bleibt gefüllt auch von dem was ich hinzufüge. Meine Spieldose wird behutsam eingesetzt, Magnetwörter werden aufs Klangblech geheftet, ein trockener Lavendelstrauss wird auf dem Boden zerbüschelt, ein altes Küchenhandtuch und die vier Jahre alten Gebetsfahnen aus meinem Garten werden zerrissen, teilweise rhythmisch. Ihr Widerstand, ihr zufälliges Widersetzen macht Spaß. Ein unvorherplanbares Reissen. Abriss Abriss Abriss.
 Anstrengung und Kraft für eine widerspenstige Naht, die mit einem mürben leisen Geräusch nachgibt. Viel Anstrengung für einen morbiden bröckeligen Klang.

 Die Zeichnende füllt nun massiv den Raum mit dem Duft eines anderen Leinöls, mit Zeichnungen, die nach wie vor täglich neu arrangiert und gehängt werden, mit Produktivität, mit dem Rascheln der Papierbögen, mit den Geräuschen des Stifts, ihrer Hände, mit ihrem Tanz.







Fast alle Performances habe ich mit dem HN4 Zoom Recorder aufgezeichnet, von Woche zu Woche erhöhe ich die Eingangsempfindlichkeit des Mikrofons. So wird zwar alles leiser, aber dennoch hörbarer. 
An manchen Tagen nimmt er nicht auf.
Widersetzt sich. Entzieht sich. Funktioniert nicht. Spielt mit.

 Das Aufgenommene bringt das Leise immer mehr nach vorne.
 An die akustische Oberfläche.

 Wir erzeugen also auch hier ein crossfade, eine dynamische Bewegung. Ein Mehrwerden des Wenigerwerdens.



Gabriele Hasler


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