SCHLAFENDE

Wolf Karge zur Ausstellungseröffnung am 2.3.1993
Galerie Hausbaumhaus, Rostock

Heute Nachmittag, als ich mit Gunhild Tuschen das erste Mal in ihrem und meinem Leben sprach, haben wir stammelnd zunächst, versucht, uns zu verständigen. Es gelang nach einiger Zeit. Bremen und Rostock liegen aber immer noch zwei Gernerationen auseinander. Daran ändern auch salbungsvolle  Politikerworte nichts. Wir haben aber miteinander gesprochen.
Einigen konnten wir uns schnell darauf, was nicht zu sagen sei. Natürlich hat Gunhild Tuschen einen Lebenslauf, den man aber nachlesen kann. Heute ist sie Malerin und Grafikerin und heute ist sie hier in Rostock in der Galerie Hausbaumhaus. Natürlich sind ihre Bilder technisch, handwerklich entstanden, sind komponiert und farblich sichtbar geworden. Das kann man hier sehen. Natürlich hat sie dabei etwas gedacht, als sie jede Serie, einmal 13 und einmal 8 Blätter an jeweils einem Abend, einer Nacht aus sich heraus entstehen ließ. Wer möchte, kann sie fragen. Was haben Sie sich dabei gedacht?

Die Arbeiten heißen "Schlafende". Darüber lohnt es nachzudenken.
Schlaf als Gegenteil von Wachsein – Wachsein – ein Wort ohne Klang.
Arthur Holitscher meinte: "Es gibt für den bewußt lebenden Menschen aber nichts Schmerzhafteres, als wach zu sein. Die meisten Menschen werden es nie. Weckt ein Ereignis sie auf, so greinen sie wie Kinder, deren Schlaf man unterbricht."

Schlaf als Dauerzustand. Man ist geschützt, aufgehoben und geborgen. Man kann sich in eine warme, dunkle Höhle verkriechen und ist nicht verletzbar. Nicht verletzbar? – Schlaf ist auch Ohnmacht, eine höhere oder tiefere Form der Wahrnehmung – nur eben nicht die normale Wahrnehmung – die oberflächliche, flüchtige, an die wir uns so gewöhnt haben.
Wir befinden uns doch schon wieder in einem Zustand des Halbschlafs, aus dem wir nur manchmal unsanft geweckt werden, wenn das Licht des Feuers zu hell wird, die Flammen zu heiß und das Sirenengeheul zu laut. Kerzen wecken niemanden auf. Sie weden nur von den ohnehin Wachen gesehen.

Schlaf assoziiert Dunkelheit. Ich schließe die Augen und es wird dunkel um mich. Diese Dunkelheit ist angenehm, weil ich in sie versinken kann, weich und warm. Selbst der im Schnee Erfrierende spürt diese Wärme. Sie ist also trügerisch?
Ich habe geschlafen, wie ein Stein, hört man, tief und traumlos. Wer das kann, dem geht es gut. "Aber Schlaf ist ein scheuer Vogel geworden, schwer zu fangen, zu halten, doch leicht zu morden," sagt Hermann Hesse. Äußerlich beginnt es immer gleich. Der Körper legt sich nieder, entspannt sich, einzelne Knochen, Muskeln werden spürbar. Dann Kauerstellung – die Haltung aus dem Mutterleib – ein Urinstinkt. Ruhe innerlich und äußerlich. Keiner kann sagen, wie der konkrete Moment des Einschlafens verlaufen ist. – Plötzlich war ich weg – ist eine gängige Wendung.

Dann der Traum. Ganze Regale mit Büchern gefüllt, versuchen dieses Phänomen zu erfassen. Natürlich Freud. Mancher versucht sie aufzuschreiben. Sie sind skurril, unproportional zum wachen Leben. Alptraum – das dicke Gespenst auf der Brust, die Pfütze, in die man rücklings fällt und nie aufsachlägt, die Flucht, die nicht gelingen will. Dann folgt das schreckhafte Erwachen – schweißgebadet.

Wacher Geist schläft schlecht. Der Schalf macht schuldig, wenn noch etwas zu tun ist. Das Aufwachen ist dann schmerzhaft.

Erwachen – Deutschland – – "Denk ich an Deutschland in der Nacht, so bin ich um den Schlaf gebracht," sage Heinrich Heine. Er fühlte sich schuldig, weil noch etwas zu tun war.

Schlaf ist Schale. Wirf sie fort. (Goethe Faust II)

Wieder ein Zitat. Auch die Bilder von Gunhild Tuschen sind Zitate – laute und leise. Sehen Sie selbst.




Schlafende, Schlaf Ende sleeping, not sleeping – kitchen-paintings.
Cycle of one night.

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